Eine 35-jährige Frau ruft mich im Ärztlichen Notdienst am 10.04.94 wegen Halsschmerzen und Fieber seit dem Vortag.
Mein Untersuchungsbefund: Die Seitenstränge sind stark entzündlich gerötet und beidseits deutlich geschwollen. Es finden sich multiple kleinere, teils konfluierende Eiterherde. Auch die Uvula ist geschwollen und gerötet. Temperatur axillär 39 C. RR 90/60.
Der übrige körperliche Untersuchungsbefund ist unauffällig. Die Patientin verhält sich ruhig und überlegt. Sie wirkt empfindsam, etwas schüchtern und ist von kleiner Statur.
Sie habe schon in der Kindheit unter häufigen Mandelentzündungen gelitten, die Mandeln seien dann 1981 entfernt worden. Danach habe sie 2-3 Jahre Ruhe gehabt, im weiteren Verlauf sei 1-2 mal pro Jahr eine Seitenstrangangina aufgetreten. Diese Anginen seien seit ungefähr 2 Jahren wohl häufiger, jedenfalls habe sie alle 6-8 Wochen Halsschmerzen mit starken Schluckbeschwerden, ohne dass sie deswegen zum Arzt gehe. Diesmal sei es besonders schlimm, sie fühle sich müde, abgeschlagen, schwitze stark. Außerdem habe sie sonst nur leicht erhöhte Temperaturen um 38 °C gehabt.
Auf genaueres Befragen berichtet sie, dass das Trinken eines kalten Getränkes ihr gut getan habe. Sie würde auch eher einen kalten als einen warmen Halsumschlag wählen. Es bestehe ein Kloßgefühl im Hals, der sich auch „schleimig“ anfühlt und beim Schlucken „wie von einem Reibeisen“ schmerzt. Nein, ein „Stechen“ sei es nicht so ganz, eher wie ein Reibeisen. Trocken sei der Hals nicht, aber als wäre er „von innen beengt“. Auch habe sie ein Engegefühl über dem Kopf, als sei eine „Haube übergestülpt“ und Druck auf beiden Ohren. Durst habe sie nie viel, aber im Moment sei das besonders ausgeprägt.
Auf die Frage, ob sie in der letzten Zeit noch andere Beschwerden gehabt habe, berichtet sie, dass sie seit 5 Wochen häufig ein Gefühlt von „Sand in den Augen“ habe. Sie streiche sich dann über die Lider, die aber daraufhin stark anschwellen und jucken würden. Die Augen brennen dann. Tränenfluss sei nicht vorhanden, eher würden sich die Augen trocken anfühlen. Seit der gleichen Zeit muss sie auch häufig niesen. Beides sei sehr belästigend; bisher sei keine Neigung zu allergischen Krankheiten bei ihr aufgetreten.
Außer den Mandelentzündungen sei sie immer gesund gewesen. Sie habe auch jetzt bis auf das o.g. keine nennenswerten Beschwerden. Die Periode sei allerdings sehr unregelmäßig, kurz und schwach und sie bekomme nach der Geburt ihres einzigen Kindes seit Jahren kein weiteres, das sie sich jedoch wünschen würde.
Diagnose: Akute Seitenstrangangina
Therapie: 2 Globuli einer homöopathischen Arznei (Apis mellifica*) in der C30, aufgelöst in einem Glas Wasser, von dem die Patientin die Hälfte in einer, den Rest dann verteilt über zwei weitere Stunden trinken soll. Am Abend nimmt die Patientin nochmals ein Globulus dieser Arznei aufgelöst in Wasser innerhalb einer Stunde ein.
Verlauf
2 Stunden nach der Einnahme des Mittels hat sie einen zunehmend starken Druck auf der Brust und das Gefühl, „als ob in jeder Faser des Körpers etwas passiert“. Sie habe fast keine Kontrolle mehr über ihren Körper, es sei eine Umwälzung, wie sie sie allenfalls bei der Geburt erlebt habe. Nach weiteren 2 Stunden Abklingen dieser Symptomatik. Gegen Abend sind das Kloßgefühl und das Kratzen im Hals nicht mehr spürbar. Die Patientin hat noch Schluckbeschwerden und das „Haubengefühl“ sowie auf über 39 °C ansteigende Temperaturen. Das Engegefühl im Hals ist eher noch etwas stärker geworden. Die Patientin erwacht am nächsten Tag mit 37,3 °C und entfiebert in den nächsten Stunden vollständig.
Befund einen weiteren Tag darauf: Seitenstränge kaum noch geschwollen, noch leicht gerötet, völlig frei von Belägen oder Eiterherden; die Uvula ist normal groß und reizlos; es bestehen keine Beschwerden, auch kein Engegefühl mehr. Wenige Tage später durchlebt die Patientin eine kurze Episode (2-3 Tage) mit sehr traurigen Gefühlen und depressiver Verstimmung. Die Augen jucken noch ab und zu und die Lider seien manchmal leicht geschwollen, aber nicht mehr so stark wie vorher.
*Homöopathische Arzneien werden aufgrund der Symptomatik im individuellen Krankheitsfall verschrieben und sind nicht auf andere Krankheitsfälle übertragbar.
Alle Namen im Text wurden geändert.
Abkürzungen: < = Verschlimmerung, > = Besserung